Dokumentationsstätte
Gefangenenhaus Ostertorwache

 
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Tafel 3
 
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Texte der Informationstafeln in der
Dokumentationsstätte Gefangenenhaus Ostertorwache

(Texte von Hartmut Müller)

Tafel 3:

1830 - 1874
Gefangenenhaus, Alltag und Entwicklung

Das Gefängniswesen unterstand in Bremen zunächst einer "Obrigkeit-lichen Inspektion der Gefäng-nisse", seit 1864 der Gefängnisdeputation. Leiter des Detentionshauses war der Gefängniscommis-sär, später Aufseher genannt. Der Gefängniscommissär wohnte mit seiner Familie im Detentions-haus. Seit 1865 war dies Johannes Krick, der auch die Funktion eines Ökonomen wahrnahm.
Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts begann man sich im Senat Gedanken um eine Neuordnung des Strafrechts und des Gefängniswesens zu machen. Die Bevölkerung Bremens war in den vergange-nen Jahrzehnten kräftig angestiegen. Hatte man 1812 noch 35.800 Einwohner in der Stadt gezählt, waren es 1865 schon 72.000. Ein Jahrzehnt später wurde die 100.000-Grenze überschritten. Mit der Bevölkerung hatte auch die Kriminalität zugenommen. 1855 wurde daher das Detentionshaus um einen Zellentrakt im hinteren Gebäudebereich erweitert. Vier Jahre später aber klagte die Gefäng-nisleitung erneut über eine Überbelegung des Hauses, die 1856 monatlich zwischen 150 und 200 Häftlinge betragen hatte.
Besonders die Unterbringung der zu Zuchthausstrafen verurteilten Täter schuf Probleme. 1861 be-schloß die Bürgerschaft den Neubau einer Strafanstalt, ließ sich aber bei der Realisierung viel Zeit. Mit dem benachbarten Großherzogtum Oldenburg schloß man zunächst 1864 eine Übereinkunft über die interimistische Unterbringung bremischer Zuchthaussträflinge in oldenburgischen Strafan-stalten. Als Oldenburg diesen Vertrag zwei Jahre später wieder aufkündigte, brachte Bremen seine Strafgefangenen vorübergehend im alten Arbeitshaus bei St. Stephani unter, aber auch im Detenti-onshaus. 1871 endlich, unterbrochen in den Planungen durch den Deutsch-Französischen Krieg, begann man mit dem Bau der neuen Strafanstalt in Oslebshausen, die 1874 bezogen werden konnte.
Im Detentionshaus, in dem es neben den eigentlichen Zellen auch ein Comptoir, die Schließerstube, die Stube für die Aufseherin, die Predigerstube, die Gerichtsstube, die Inspectionsstube und die Kü-che gab, hatte nach der Reformeuphorie des ersten Jahrzehnts längst der Gefängnisalltag Einzug gehalten, mit zeitweiliger Überbelegung, mit mangelnder Hygiene in den Zellen, mit einer Gefäng-niskost aus Kartoffeln und Suppe, Brot und Milchkaffee am Morgen und heißem Wasser am Abend. Aber das lag durchaus im Trend der Zeit. Die Häftlinge trugen Gefängniskleidung: leinene Kittel und Hosen, wollene Frauenröcke, Düffel - Unterjacken und - Unterhosen, Männer wie Frauen. Um 1860 wurde im Gefangenenhaus - wie es jetzt durchgehend hieß - eine Bibliothek für die Gefange-nen eingerichtet: viel Vaterländisches, biblische Bücher und Erbauungsliteratur.
Namenlos sind die Häftlinge geblieben, die Tag für Tag, Jahr für Jahr die Haft im Gefangenenhaus teilten. Nur eine hat erzählt, wie sie die dumpfen Zellen am Ostertor erlebt hatte: Marie Minder-mann. 1852 hatte der Bremer Senat die mutige Demokratin wegen Beleidigung der Obrigkeit in der von ihr verfassten Flugschrift "Briefe über bremische Zustände" zu einer Haftstrafe von acht Tagen verurteilt. Marie Mindermann saß die Strafe ab und berichtete in der noch im gleichen Jahre 1852 erschienenen Schrift "Eigenthümlichkeiten der Bremer Neuzeit" über das im Gefangenenhaus Er-lebte.
Wie es dagegen dem Zigarrenmacher Wilhelm Albert Lürssen ergangen ist, wissen wir nicht. Am Abend des 28. Januar 1869 hatten ihn zwei Schlachtearbeiter im total betrunkenen Zustand auf ei-nem Handwagen beim Gefangenenhaus abgeliefert. Am 19. Mai des folgenden Jahres hatte man ihn erneut eingeliefert, nachdem er betrunken "hinterm Schütting" liegend zum öffentlichen Ärgernis geworden war. Nun verhängte die Obrigkeit eine Gefängnisstrafe von zwei Tagen gegen ihn und drohte im Wiederholungsfall mit einer Unterbringung im Arbeitshaus.
Am 5. Februar 1874 regelte der Senat in einem "Gesetz, die Verbüs-sung von Freiheitsstrafen betref-fend" das Bremer Gefängniswesen nach Fertigstellung der Strafanstalt in Oslebshausen grundlegend neu. Er unterschied jetzt klarer als bisher zwischen der allgemeinen Strafanstalt in Oslebshausen und dem Ge-fangenenhaus am Ostertor als Lokalgefängnis. Den Rahmen für die Neuregelung hatte das 1870 im Norddeutschen Bund eingeführte Allgemeine Strafgesetzbuch gesetzt. Seine Zustän-digkeit über die Strafanstalten teilte Bremen jetzt als Bundesstaat mit dem Deutschen Reich.



Stand: 02.05.2002