Dokumentationsstätte
Gefangenenhaus Ostertorwache

 
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Tafel 4
 
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Texte der Informationstafeln in der
Dokumentationsstätte Gefangenenhaus Ostertorwache

(Texte von Hartmut Müller)

Tafel 4:

1874 - 1933
Trunkenbolde, Schüler, politische Gefangene

Rechts neben den klassizistischen Säulen des südlichen Torhauses am Ostertor stand in der Kaiser-zeit vor einem Schilderhäuschen ein Polizist mit Pickelhaube und silbergeknöpftem Uniformrock Wache. Ihm gegenüber deutete nichts darauf hin, daß sich hier im nördlichen Torhaus unter einer großen runden Uhr weiterhin das Polizeigefängnis der Stadt befand.
Eigentlich hatte der Senat das Gebäude längst schon abreißen lassen wollen. 1907 hatte er den Plan eines Neubaus an der Bucht- oder Oster-torswallstraße mit über 600.000 Mark Kosten als zu teuer verworfen. Nach einem Brand hatte man 1910 festgestellt, daß das Gebäude alles andere als feuersi-cher war. Grundlegendes aber passierte nicht. Es wurde hier ein wenig saniert, dort geflickt. 1919 endlich bekam das Gefangenenhaus an Stelle der Gasbeleuchtung elektrisches Licht. Und 1922 wurde ein zusätzlicher Bade- und Desinfektionsraum eingerichtet, nachdem bisher nur ein einziger Baderaum im Keller zur Verfügung gestanden hatte. Für die tägliche Körperpflege mußte die Waschschüssel in der Zelle herhalten.
Im Gefangenenhaus galt seit 1885 eine neue und strenge Hausordnung. Das war bei der auch jetzt immer wieder vorkommenden Überfüllung des Hauses nötig. Gefangene mußten öfters an das Ar-beitshaus abgegeben werden. Platz schuf 1895 die Eröffnung des Untersuchungsgefängnisses im Gerichtsgebäude an der Domsheide.
In § 14 der Dienstanweisung vom 27.9.1895 an den Gefängniskommissär heißt es: "Dem Gefäng-niskommissär wird eine humane Behandlung der Gefangenen zur Pflicht gemacht, soweit als solche mit dem Zwecke der Haft ... vereinbar ist." Bei aller korrekten Behandlung der Gefangenen kam es doch immer wieder auch zu Verzweiflungstaten in den Zellen. So wurde am Morgen des 1. Novem-ber 1923 die unter dem Verdacht des Diebstahls am vorhergehenden Abend eingelieferte 22jährige Dienst-magd Maria E. bewußtlos im Bett liegend mit allen Anzeichen einer selbstmörderischen Ver-giftung vorgefunden. Ab 1928 wurden Frauen nicht mehr im Gefangenenhaus inhaftiert, sondern im Untersuchungsgefängnis untergebracht.
In Deutschland hatte es im ganzen 19. Jahrhundert keine einheitliche Regelung des Gefängniswe-sens gegeben. Wissenschaftler trafen sich zwar regelmäßig zu nationalen und internationalen Fach-tagungen zum Thema, doch wurden erst 1923 durch das Reichsjustizministerium allgemeinverbind-liche "Grund-sätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen" erlassen.
Das Gefangenenhaus leitete jetzt ein Gefängnisinspektor. Ihm zur Seite stand der Oberaufseher. Dienst taten täglich auch mehrere Aufseher und Aufseherinnen. Seit 1923 war im Gefangenenhaus auch eine Polizeihundestaffel untergebracht mit den Schäferhunden "Lux", "Blitz" und "Benno".
Inhaftiert wurden im Gefangenenhaus seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch schulpflichtige Jun-gen und Mädchen, die im Wiederholungsfall die Schule versäumten und deren Eltern die fällige Geldbuße nicht bezahlen konnten oder wollten. Die Schulbehörde konnte ersatzweise eine Gefäng-nisstrafe bis zu drei Tagen verfügen und tat dies, wie die Gefangenenstatistik ausweist, auch regel-mäßig. 1880 saßen so 135 "Knaben" ihre Versäumnisstrafen in zwei kleineren Zellen ab, die für die Unterbringung auch jugendlicher Verbrecher und Prostituierter bestimmt waren. Um die Jahrhun-dertwende ging die Zahl der jährlich verhängten Schulstrafen zurück. 1920 sah das "Gesetz über die Bestrafung von Schulversäumnissen in der Stadt Bremen und im Landgebiet" aber immer noch Haftstrafen von sechs Stunden bis zu drei Tagen vor.
Die gewalttätigen politischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik schufen einen neuen Typ des Gefangenen, den politischen Gefangenen. Zahlreiche Anhänger der Linksparteien wurden in den zwanziger Jahren wegen Verstoßes gegen das Demonstrationsverbot von der Straße weg als sogenannte "Schutzhäftlinge" verhaftet und zu kürzeren oder längeren Freiheitsstrafen verurteilt. Der spätere Bremer Bürgermeister Adolf Ehlers saß so im Oktober 1923 eine fünftägige Haftstrafe im Gefangenenhaus ab. Die kommunistische "Rote Hilfe" rief öffentlich zur Unterstützung der po-litischen Gefangenen auf.



Stand: 02.05.2002