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Tafel 6
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Texte der Informationstafeln in der
Dokumentationsstätte Gefangenenhaus Ostertorwache
(Texte von Hartmut Müller)
Tafel 6:
1933 - 1945
Schutzhaft und politische Häftlinge
Am 1.Dezember 1936 übersandte ein Bremer Justizinspektor auf Anforderung
des Oberdirektors der Bremischen Vollzugsanstalten als verantwortlicher
Leiter des Gefangenenhauses folgenden Be-richt: Grundlage für die
Inhaftierung politischer Häftlinge im Gefangenenhaus war nach den
will-kürlichen Verhaftungsmaßnahmen der ersten Monate nach
der Machtergreifung der "Schutzhaftbe-fehl" der Geheimen Staatspolizei.
Im Gefangenenhaus blieben die Schutzhäftlinge wenige Tage, Wochen,
Monate oder im äußersten Fall auch mehrere Jahre. Von hier
aus wurden sie ins Untersu-chungsgefängnis überwiesen, in Konzentrationslager
verschleppt oder aber auch wieder mit einem entsprechenden Entlassungausweis
freigelassen.
Politische Gefangene waren Kommunisten und Sozialdemokraten, Ernste Bibelforscher
und Juden, Homosexuelle, "Zigeuner", alle, die mit dem nationalsozialistischen
Regime und ihren Machtha-bern in Konflikt gekommen waren oder versucht
hatten, ihm Widerstand zu leisten. Bekannte Na-men waren darunter, wie
der des späteren Präsidenten des Senats Willy Dehnkamp oder
der des ersten Nachkriegspräsidenten der Bremischen Bürgerschaft
August Hagedorn. Im Gefangenenhaus inhaftiert war 1941 aber auch der damals
sechzehn Jahre junge Pole Walerjan Wróbel, bevor er ins KZ Neuengamme
deportiert und schließlich vom Bremer Sondergericht zum Tode verurteilt
und in Hamburg hingerichtet wurde, weil er aus Heimweh in Lesum die Scheune
seines bäuerlichen Ar-beitgebers angezündet hatte.
Die Zahl der inhaftierten Schutzhäftlinge schwankte. Im Mai 1934
waren es zum Beispiel täglich 70 bis über 80. Ende der dreißiger
Jahre sanken die Zahlen manchmal auf täglich rund 30 "Politische",
um in den vierziger Jahren wieder deutlich zuzunehmen. Anfang 1944 waren
mindestens 80% der im Gefangenenhaus inhaftierten Häftlinge Ge-stapo-Häftlinge:
am 5. Februar 260 Männer und 98 Frauen, darunter jetzt allerdings
viele Zwangsarbeiter, die wegen Arbeitsverweigerung eingeliefert worden
waren.
Im Gefangenenhaus regelte seit dem 1. Januar 1940 die allgemeine Polizeigefängnisordnung
den Strafvollzug der Gefangenen. Ihr realer Alltag dürfte aber oft
anders ausgesehen haben. Verant-wortlicher Leiter des Gefangenenhauses
war seit dessen Einrichtung als Polizeigefängnis im Jahre 1940 der
49jährige Polizeiinspektor Paul Meier. Folgt man den 1948 in einem
Entnazifizierungs-prozeß gegen ihn gemachten Zeugenaussagen, so
war der Strafvollzug im Gefangenenhaus "an und für sich human".
Er führte seine Anstalt nach den Vorschriften der Polizeigefängnis-ordnung
hart und patriarcharlisch streng, oft im Tone auch rüde, barsch und
laut. Für die "Politi-schen" hatte er in der Regel nicht
viel übrig, aber das war Tradition in der deutschen Polizei. Das
Personal, 1938 noch aus einem Inspektor, einem Hauptwachmeister, drei
Oberwachtmeistern, sechs Aufsehern und ei-nem Kanzleiangestellten bestehend,
war nach 1940 aufgestockt und besonders um weibliche Aufse-herinnen vermehrt
worden.
Fast alle waren sie langgediente, zwischen 46 und 56 Jahre alte Polizeibeamte,
teils parteilos, teils 1937 in die NSDAP eingetretene Parteigenossen.
Die Ausnahme stellte ein 34jähriger ehemaliger Hilfspolizist dar,
1933/34 Mitglied der SA, seit 1937 Parteigenosse und offensichtlich derjenige,
der die Dreckarbeit machte, wenn es im Gefangenenhaus handgreiflich wurde.
Aber es gab auch den alten sozialdemokratischen Vollzugsbeamten, von dem
sich unter den Häftlingen und ihren Ange-hörigen rumgesprochen
hatte, daß er half, wo er es verantworten konnte. Die Häftlinge
hatten im Gefangenenhaus zu arbeiten, auch wenn es zu den Disziplinierungsmaßnahmen
der Gestapo gehör-te, den politischen Gefangenen das Arbeiten zu
verbieten. Was anfiel waren Arbeiten in der Bast- und Mattenmacherei,
Garnarbeiten, Hausarbeiten, auch Hilfen bei der Büroarbeit.
Wer gegen die Haus- und Gefängnisordnung verstieß, wurde hart
bestraft, mit Einzelhaft im Keller oder auch durch mehrtägigen "Schweren
Arrest" bei Wasser und Brot auf der Holzpritsche ohne wär-mende
Decke. Die Gefangenen durften Besuch empfangen, Rauchen, Lesen und Schreiben
- wenn die Gestapo dies genehmigte. Denn neben der Polizeigefängnisordnung
gab es die allgegen-wärtige Willkür der Gestapobeamten im Gefangenenhaus.
Die Gestapo ging im Gefangenenhaus ein und aus. Zwar wehrte sich der Leiter
der Anstalt, wenn er seine Autorität und Zuständigkeit zu sehr
in Frage gestellt sah, lieber und meistens aber schaute er weg und vollzog
die Anordnungen der Gesta-po in seinem Haus: Rauchverbot, Verbot des Zei-tungslesens,
Beschäftigungsverbot, Schreibverbot, Besuchsverbot, Entzug von einzelnen
Vergün-stigungen für die Häftlinge. Alles mußte bei
der Gestapo am Wall 199 schriftlich von den Häftlin-gen beantragt
werden, und die Beamten entschieden eher demütigend restriktiv. Die
Gestapo besaß im Gefangenenhaus ihr eigenes Vernehmungszimmer, wo
sie einen Teil ihrer Verhöre durchführte. Hierbei kam es zu
Schlägen und Mißhandlungen, anfangs auch zu den gefürchteten
Überstellungen von Schutzhäftlingen zur "Sonder-behandlung"
ins Gosselhaus, von wo die Gefangenen zerschlagen und oft psychisch gebrochen
zurückkehrten. Wer nicht gestehen wollte wurde in den Keller in Einzelhaft
gesteckt oder in der Dunkelzelle isoliert. Gegenüber weiblichen Gefangenen
kam es mitunter zu gewalttätigen sexistischen Übergriffen und
Mißhandlungen. Nicht alle Häftlinge hielten den seelischen
Belastungen des Gefangenenalltags unter diesen besonderen Bedingungen
stand. Mehrfach kam es zu Selbstmordversuchen. So schnitt sich im September
1933 der dreißigjährige politische Häftling Friedrich
Sch. mit einer Rasierklinge die Pulsader auf, konnte aber in der Krankenanstalt
gerettet werden. Die Gestapo ordnete an, den Gefangenen im Gefangenenhaus
künftig Rasiermesser und Rasierklingen abzunehmen. Im August 1934
versuchte der ebenfalls dreißigjährige Schutzhäftling
Karl R. nach einwöchentlicher Einzelhaft seinem Leben durch Erhängen
ein Ende zu setzen. Andere reagierten auf den unerträglichen Druck
mit Ausbruchsversuchen, die jedoch scheiterten,wie der dreier wegen Hochverrat
angeklag-ter Schutzhäftlinge im Dezember 1938, die versucht hatten,
sich durch das Fenster einen Weg in die Freiheit zu verschaffen. Ihr Versuch
mißlang und sie wurden zu zwei Monaten Gefängnis wegen Gefangenenmeuterei
verurteilt.
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