Texte der Informationstafeln in der
Dokumentationsstätte Gefangenenhaus Ostertorwache
(Texte von Hartmut Müller)
Tafel 7:
1945 - 1990
Verwahrung - Transport - Abschiebung
Kurz nach der Befreiung Bremens durch britische Truppen war das Gefangenenhaus
seit dem 5. Mai 1945 schon wieder belegt. Zwar hatte es noch am 26. April
durch einen Artillerievolltreffer seinen Schornstein verloren, doch die
Arresträume im Polizeipräsidium waren inzwischen derart überfüllt,
daß man auf das Polizeigefängnis zurückgreifen mußte,
auch wenn dessen Bombenschäden längst noch nicht ausgebessert
waren und im ganzen Gebäude die Fenster fehlten. Mitte Juni gab es
immerhin wieder Strom.
In Bremen hatten nun die Amerikaner das Sagen. Die Gestapo gab es nicht
mehr, die politischen Gefangenen waren entlassen worden, und die deutsche
Polizei unterstand, wenn auch unter deutscher Leitung, der amerikanischen
Militärregierung, vertreten durch den Gefängnisoffizier Captain
Evers. Im Gefangenenhaus waren nach Kriegsende die Aufseher und Aufseherinnen
im Amt geblieben. Der Leiter des Gefangenenhauses wurde am 10.1.1946 auf
Weisung der amerikanischen Militärregierung entlassen und verlor
seine Eignung zum Polizeibeamten. Ende 1948 kam es gegen ihn zu einem
mit über dreißig Zeugen breit angelegten Entnazifizierungsverfahren,
das die Entlassung durch die Amerikaner bestätigte.
In den ersten Nachkriegsjahren reichten die Bremer Gefängnisse kaum
zur Unterbringung aller Festgenommenen und Häftlinge aus. Auch das
Gefangenenhaus war ständig überbelegt. Besonders hektisch ging
es am Ostertor zu, wenn beispielsweise nach Schwarzmarktrazzien bis zu
über fünfzig Personen gleichzeitig eingeliefert wurden. Aber
auch wer einfach nur die nächtlichen Sperrstunden überschritt,
mußte die Nacht bis zum Morgen in einer der Zellen verbringen.
Ein besonderes Problem stellten im Nachkriegsbremen die zahlreichen verwahrlosten,
insbesonders weiblichen Jugendlichen dar, von denen viele bereits regelmäßig
der Prostitution mit amerikanischen Soldaten nachgingen. Die von der Polizei
aufgegriffenen Mädchen und Frauen kamen zunächst zur Verwahrung
ins Gefangenenhaus, das aber in keiner Weise für die Unterbringung
und die Trennung der "anständigen Frau von der Prostituierten"
ausreichte. Am 18. Juli 1946 beklagte die Bürgerschaft die Zustände
im Gefangenenhaus. "Jedenfalls ist diese Art der Unterbringung am
Ostertor einfach menschenunwürdig und ein Schandfleck für unser
Bremen" führte die Senatorin Käthe Popall aus, "Stellen
Sie sich einmal einen kleinen Kellerraum vor, der die Luftzufuhr nur durch
eine Luftklappe erhält, die höchstens 50 mal 50 cm groß
ist, und der nun als Unterbringungsmöglichkeit für 20 und mehr
junge Mädchen und Frauen zu dienen hat. ... Ein großer Teil
von ihnen ist geschlechtskrank, ein weiterer Teil durch Ungeziefer verseucht."
Zwar versuchte man nun, jugendliche Häftlinge gesondert unterzubringen,
doch war es 1946 die Regel, daß sich mehrere weibliche Häftlinge
ein Bett teilen mußten. Erst mit der zunehmenden Unterbringung Jugendlicher
in öffentlichen Heimen entspannte sich im Verlauf des Jahres 1947
die Situation im Gefangenenhaus, das jetzt zeitweise von der Justizverwaltung
als "Ausgleichsgefängnis" für weibliche Häftlinge
genutzt wurde, obwohl sein Zustand weiterhin als "wenig erfreulich"
bezeichnet wurde.
Anfang der fünfziger Jahre sanken die Belegungszahlen im Gefangenenhaus
derart, daß Polizei und Justizverwaltung überlegten, das Polizeigefängnis
aufzulösen. Polizeigefangene im eigentlichen Sinn gab es nicht mehr,
und manchmal überstieg die Zahl des Personals die der tatsächlich
Inhaftierten. 1951 war noch eine neue Polizeigefängnisordnung erlassen
worden. Ende des Jahres beschloß man jedoch, die männlichen
und weiblichen Gefangenen an das Untersuchungsgefängnis abzugeben.
Was blieb war die auf 24 Stunden begrenzte Verwahrung Inhaftierter und
die Unterbringung der "Transportgefangenen" zur Überführung
an Gerichte und Haftanstalten innerhalb und außerhalb der Stadt.
Seit dem 15.12.1951 trug das Gefangenenhaus nunmehr die amtliche Bezeichnung
"Polizei-Transport- und Verwahrungsstelle", später einfach
"Dienststelle Gefangenentransport". Die Dienststelle verfügte
über zwei Gefangenentransportwagen, im Volksmund als "Grüne
Minna" bezeichnet.
1960 meldete die Polizeistatistik 3877 dem Gefangenenhaus überstellte
Personen. Dazu zählten auch Jugendliche, die hier ihren richterlich
verhängten Freizeitarrest verbringen mußten. Auch Obdachlose
wurden für eine Nacht aufgenommen. Mit Wirkung vom 15.1.1964 erließ
der Senator für Inneres eine neue Polizeigewahrsamsordnung. Hierin
heißt es in § 1: "Die Polizeiverwahranstalt (Polizei-ge-wahrsam)
dient der vorübergehenden sicheren Unterbringung von Personen, die
von der Polizei festgenommen oder sonst in Gewahrsam genommen worden sind".
Der Gefangenentransport wurde dagegen seit dem 1.4.1963 durch eine Gefangenentransportvorschrift
bundeseinheitlich geregelt. Vom 15.1.1964 an unterstand das Gefangenenhaus
dem Stadt- und Polizeiamt als Polizeigewahrsam und Dienststelle - Gefangenentransport.
Hier landeten auch die anläßlich der schweren Straßenbahnunruhen
im Januar 1968 festgenommenen jugendlichen Demonstranten. 1978 gingen
im Gefangenenhaus 2480 Männer und 410 Frauen "ein und aus";
darunter Blinde Passagiere, Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis,
jugendliche Ausreißer (80) und vor allem Prostituierte.
Als im Januar 1972 19 illegal in Bremen zugereiste marokkanische Gastarbeiter
festgenommen und zur Abschiebung in das Gefangenenhaus gebracht wurden,
ahnte in der "Dienststelle Gefangenentransport" noch niemand,
daß damit ein letztes Kapitel in der langen Geschichte des Polizeigefängnisses
begonnen hatte: die Abschiebehaft oder auch Abschiebeknast genannt. An
dem Schicksal der oftmals noch jugendlichen Abschiebehäftlinge im
Gefangenenhaus entzündete sich in der Folge immer wieder die öffentliche
Auseinandersetzung über die Asylpolitik in Bremen.
Mit den umfangreichen Sanierungsarbeiten, die 1980 und 1981 am Gefangenenhaus
durchgeführt wurden, setzte auch eine nicht mehr abreißende
öffentliche Diskussion über eine andere Nutzung des Gefangenenhauses
ein. 1980 schlug die Aufbaugemeinschaft Bremen die Umgestaltung zu einem
"Rudolf-Alexander-Schröder-Haus" vor. Andere wollten ein
Mitmach-Museum oder brachten die Idee eines Bürgerhauses oder eines
Museums für moderne Kunst ins Gespräch.
Von einer zurückgehenden Nutzung des Hauses durch die Polizei konnte
aber zunächst keine Rede sein. Allein im August 1980 hatte die Polizeiverwahranstalt
225 mutmaßliche Straftäter verwahrt, hatte 534 Personen befördert
und 2 Obdachlose bewirtet. Fast jede politische Großdemonstration
in der Stadt endete vor dem Gefangenenhaus, wo die Teilnehmer die Herausgabe
festgenommener Demonstranten forderten oder ihre Meinungen mit Farbbeuteln
und Graphitis unter"malten".
1984 wurde links neben dem Gefangenenhaus der "Freiheitskämpfer"
des Bildhauers Fritz Cremer aufgestellt, der an die Gegner und Opfer des
Nationalsozialismus sowie besonders an die Widerstandsgruppe Schulze-Boysen
/ Harnack erinnern sollte. Ende der Achtziger Jahre setzten die Forderungen
der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten ein, das Gefangenenhaus
in eine Gedenk-, Dokumentations- und Bildungsstätte zur Geschichte
Bremens unter dem Nationalsozialismus umzugestalten.
|