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FALTBLÄTTER
Zelle "Überfüllung"
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Text für das Faltblatt: Zelle Überfüllung
Im Jahre 1836 schrieb der Bremer Arzt und Sozialkritiker Philipp Heineken
über das 1828 in Betrieb genommene Detensionshaus: "Die sämtlichen
Gefängnisse (er meinte Zellen) haben das Fenster nach diesem Hofe
hin, den Eingang aber nach einem an der Außenseite des Gebäudes
herumlaufenden Corridors, und bestehen aus sechsundzwanzig zehn Fuß
hohen Zellen, von welchen zwanzig jede Raum für einen und nöthigenfalls
zwei, vier für sechs bis acht Gefangene haben, zwei Zellen sind jede
für eine Person bestimmt.... Der Kellerraum dient größtentheils
zum ökonomischen Gebrauche, und wird nur bei Überfüllung
des Gebäudes für Verhaftungen, die nur wenige Tage dauern, und
zur Reinigung der Verhafteten benutzt. Das ganze Gebäude ist nöthigenfalls
im Stande, bis auf hundert Personen aufzunehmen. ... Über die zweckmäßige,
den neuesten Mustern nachgebildete Einrichtung dieser Anstalt kann wohl
nur eine Stimme herrschen, und liefert den schönsten Beweis der Humanität
Bremens, die auch in dem Verbrecher noch den Menschen ehrt."
In der Bremer Polizeigewahrsamsordnung vom 15.1.1964 heißt es in
§ 5: "Die im Polizeigewahrsam untergebrachten Personen sind
mit einer dem Sinne ihrer Unterbringung angemessenen Sachlichkeit gerecht
und unter Wahrung ihrer Menschenwürde zu behandeln."
Dem hohen Anspruch, die Menschenwürde der Gefangenen auch während
ihrer Haft zu achten, sind Gefängnisaufsicht und Gefängnisleitung
in der langen Geschichte des Gefangenenhauses immer wieder nur unzureichend
gerecht geworden.
Besonders die Frage der Überfüllung des Gefangenenhauses stellte
für die Gefängnisleitung ein kaum lösbares Problem dar.
Immer wieder wurden die Zellen mit mehr als zwei Häftlingen belegt,
wurden diesen auch noch die Reste ihrer auch so schon mehr als eingeschränkten
Intimsphäre genommen. 1861 gab es im Gefangenenhaus 26 Zellen und
3 Keller, davon 7 Zellen und 1 Keller für weibliche Gefangene. 13
waren gewöhnliche Zellen à 2 Mann, 3 kleine Zellen à
1 Mann. Schon damals schrieb der GefängnisCommissair in einem Bericht
an eine Hochlöbliche SenatsCommission für die Strafanstalten:
"...so muß ich schon häufig dieselben (gemeint waren die
Gefangenen) noch viel enger zusammenlegen". Und er fügte hinzu,
daß bei der bei den unteren Klassen herrschenden Unreinheit die
beiden Keller, die zur Aufnahme der "unreinen" Gefangenen bestimmt
waren, fast immer überfüllt seien.
1879 war das Gefangenenhaus mit 145 Personen erneut überfüllt.
"Die Zahlen der Bettler und Obdachlosen haben in den letzten Tagen
derart zugenommen, daß sie in der Zahl, wie sie jetzt täglich
im Gefangenenhause eingeliefert werden, nicht mehr aufgenommen werden
können", schrieb am 14.Januar 1908 der GefängnisKommissär
Lattmann an die zuständige Hochlöbliche Inspektion der Gefängnisse
zu Händen Herrn Senators Dr.Dreyer. Der Senator ließ sich nun
eine Zeit lang täglich berichten, das Problem aber löste auch
er nicht.
Besonders dramatisch entwickelten sich die Zustände während
der Zeit des Dritten Reiches. Schon wenige Tage nach der Machtergreifung
war das Gefangenenhaus im März 1933 mit 228 internierten Personen
überbelegt. Im Jahre 1944 betrugen die Belegungszahlen sogar zeitweise
bis zu 260 Männern und 98 Frauen, darunter auch viele ausländische
Zwangsarbeiter. Hierzu äußerte am 10.2.1945 die Kriminalpolizeileitstelle
gegenüber dem Polizeipräsidenten: "Wenn die Bombengeschädigten
eng zusammenrücken, wenn die Flüchtlinge aus dem Osten nur ganz
notdürftig unterkommen..., dann sollte man auf Rechtsbrecher und
insbesondere solche aus den Reihen der Ostarbeiter nur die Rücksicht
nehmen, die im Hinblick auf die Gesamtlage im 6. Kriegsjahr vertretbar
erscheint. Schon der Umstand, daß der Aufenthalt in dem Polizeigefängnis
für viele Häftlinge als 'Strafe' verfügt worden ist, rechtfertigt
die Auferlegung gewisser Unbequemlichkeiten in der Unterbringung".
Die Überfüllung führte immer wieder Häftlinge unterschiedlichster
Kategorien zusammen, ungewollt oder wie in der Zeit des Dritten Reiches
durchaus auch gewollt, wo der politische Häftling durch die gemeinsame
Inhaftierung mit einem kriminellen Häftling zusätzlich gedemütigt
werden sollte.
Inhaftierte des Gefangenenhauses waren während seiner langen Geschichte
in der Aktensprache der jeweiligen Obrigkeit: Bettler, Vagabund, Schutzhäftling,
Durchgangstransporter, Stapohäftling, Obdachloser, Verwahrloste,
Prostituierte, Landstreicher, Mörder, Hehler, Trunkenbold, Betrüger,
Dieb, Abschieber, Einschleicher, Blinder Passagier, Ausreißer, Wirtschaftsflüchtling,
Randalierer, Asylant, Gewahrsamsperson, Hochverräter, Beleidiger,
Jude, Wehrkraftzersetzer, Saboteur, Volksschädling.
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