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Gefangenenhaus Ostertorwache

 
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Zelle "Ungewißheit"
 
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Text für das Faltblatt: Zelle Ungewißheit

"Die Abschiebungshaft dient dem Zweck, durch sichere Verwahrung der Abschiebungsgefangenen die Durchführung von Abschiebungen zu gewährleisten", heißt es in Punkt 1 der Richtlinien des Justitzministeriums in Niedersachsen vom 13.2.1995 über den Vollzug der Abschiebungshaft. Abschiebung dient der Durchsetzung der Ausreisepflicht einer Person durch die Ausländerbehörde. Ausreisepflichtig ist derjenige, der sich unberechtigt in der Bundesrepublik aufhält.
Im Jahre 1995 wurden ca. 17.000 Asylbewerber aus der Bundesrepublik abgeschoben, 117 davon aus dem Land Bremen. Ein Jahr vorher waren es 583 gewesen, 1993 sogar 611. Abschiebegewahrsam war in Bremen bis zum Beginn des Jahres 1996 die Ostertorwache. Seit April 1996 dient die Strafvollzugsanstalt Oslebshausen als Abschiebungshaftanstalt.
Die psychische Situation von Abschiebungshäftlingen ist schwierig und oftmals geprägt von Unsicherheit, Angst und Verzweiflung. Viele wissen überhaupt nicht, warum sie im Gefängnis sitzen. Die unbestimmte Haftdauer und die Angst vor einer erzwungenen Rückkehr in ein gefährliches Herkunftsland machen die Inhaftierung unerträglich. "Ich habe Angst. Angst, die euch draußen fremd ist und hoffentlich fremd bleiben wird. Die Angst lebt bei mir im Bauch, im Kopf, in den Füßen, in den Händen. Meine Hände zittern und sind naß und kalt wie die Hände meiner Großmutter, ehe sie starb. Die Angst verläßt mich auch nicht im Schlaf. Ich kann sie mit niemandem teilen und niemandem mitteilen...", schrieb ein junger Mann aus der Abschiebungshaft in Berlin, bevor er vier Tage später nach China abgeschoben wurde.
Zur Angst kommen quälende Langeweile , fehlende menschliche Kontakte und sprachliche Barrieren: "...kein Radio, guck mal, keine Uhr, kein Fernsehen...gar nichts - was wollen machen 24 Stunden, wohin wir unser Kopf stecken."
Am Ende steht die Hoffnungslosigkeit: "...Ich bin jetzt schon so lange hier, daß es für mich bald keine Welt mehr außerhalb dieser Abschiebungshaft gibt. Ich habe schon so viel geschrieben, aber kann irgend jemand verstehen, was ich sagen will? Ich weiß nicht, was soll ich noch schreiben, ich kann mich selbst nicht mehr verstehen. Ich habe so lange gewartet, seit so langem gehofft, hier herauszukommen. Ich kann nicht mehr, es ist wie sterben, denn das Leben ist am Ende, es geht nicht weiter". Sätze eines Libanesen nach elfmonatiger Abschiebungshaft.
Dem Abschiebungshäftling steht im Regelalltag das Bewachungspersonal gegenüber: Justizvollzugsbeamte, Polizei. "Der Vollzug in der JVA belastet vor allem die Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes und des Sozialdienstes. Diese Kollegen sehen sich tagtäglich einer hohen Anforderung durch die Gruppe der Abschiebungshäftlinge ausgesetzt. Viele fühlen sich mit diesem Problem alleingelassen und überfordert", stellte 1995 eine Anhörung "Ausländer im Strafvollzug" im Bayerischen Landtag fest. Eine Studie "Polizei und Fremde" der Polizei - Führungsakademie Hiltrup berichtet 1996 u.a.: "Auch empörten sich die Beamten darüber, daß von den abgelehnten Asylbewerbern in erster Linie diejenigen abgeschoben würden, die 'anständig, d.h. anpassungs- und integrationsbereit' sind, die also den Meldeauflagen nachkommen und daher erreichbar sind, während gerade die 'illegalen', delinquenten Asylbewerber oft nicht ausgewiesen werden können, weil sie abgetaucht sind". Ständig dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit ausgesetzt, sitzen die Beamten und Beamtinnen zwischen den Stühlen. Die Agressionen von Abschiebungshäftlingen, die oftmals traumatische Verfolgungs- und Fluchterlebnisse hinter sich haben, entladen sich gegen sie. "Die hautnahe Konfrontation mit dem Elend der Flüchtlinge zehrt an den Nerven vieler Beamten", beklagen Personalräte und Gewerkschaftler und fordern Schulungen, Supervision und psychologische Hilfen : "Training zum Ausbau sozialer Kompetenz".
In ihrer Forderung nach Verbesserung der Lebensbedingungen von Abschiebungshäftlingen treffen sich die Interessen von Menschenrechtsgruppen, Sozialdiensten und Polizeigewerkschaft und natürlich die der von Abschiebung betroffenen Menschen.
"Die Würde der menschlichen Persönlichkeit wird anerkannt und vom Staat geachtet" heißt es in Artikel 5 der Bremischen Landesverfassung vom 21. Oktober 1947.
(Zitate sind folgenden Veröffentlichungen entnommen:
Hubert, Heinhold, Abschiebungshaft in Deutschland. Eine Situationsbeschreibung, Karlsruhe 1997
Die Würde des Menschen ist ausweisbar. 50 Jahre Grundgesetz - 6 Jahre verstümmeltes Asylrecht, Hrsg.: Pro Asyl, Frankfurt 1999
Deutsche Polizei. Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei. Nr.3 1996, Nr.12 1998.)



Stand: 02.05.2002